August 2010 und 2011 - Gaai Jatra

Im August ist hier in Nepal Gaai Jatra. Dies ist ein Feiertag der Volksgruppe der Newar und wird deshalb auch nur im Kathmandu-Tal und einigen newarischen Siedlungen gefeiert. Da die newarische Stadt Tansen nur eine gute Stunde von Butwal liegt, entscheide ich mich spontan, den Tag frei zu nehmen und ein wenig mitzufeiern. Gaai Jatra heißt übersetzt lediglich "Kuh-Fest", doch dieser Name wird den Festlichkeiten nur teilweise gerecht. Familien, die im vergangenen Jahr einen Todesfall zu beklagen hatten, organisieren eine Prozession durch die Stadt. Vorneweg läuft eine junge Kuh, die mit Blumenketten und Bändern geschmückt ist. Nach Newari-Glauben ist der Eintritt ins Totenreich und am Totengott Yama vorbei leichter, wenn man sich am Schwanz einer Kuh festhält. Da jedoch die wenigsten Menschen mit einem Kuhschwanz in der Hand sterben (außer sie werden von einer Kuh zu Tode geschleift) wird einmal im Jahr für alle Verstorbenen dieses Fest veranstaltet und die Verwandten greifen in Vertretung für die Verstorbenen an den Schwanz der Kühe, um so den verstorbenen Familienmitgliedern eine gute Reise ins Totenreich zu sichern.

 

Der Kuh folgen Kinder aus der Familie des oder der Verstorbenen. Eines der Kinder trägt das Bild des toten Familienmitglieds, das ebenfalls mit Blüten und Gräsern geschmückt ist, drei weitere Kinder sind als König, Königin und als Heiliger verkleidet.

Diesen Kindern folgen weitere Familienmitglieder, Freunde und Bekannte. Der ganze Zug wird von Musik begleitet. Entweder werden Träger engagiert, die einen Generator, Kassettenrekorder und einen Lautsprecher tragen, der ständig das gleiche Lied wiederholt oder es wird Live-Musik gespielt, dann schleppen die Träger Verstärker, Keyboards, Trommeln oder andere Instrumente und ein Chor folgt dem Trauerzug. Den ganzen Tag laufen diese verschiedenen Prozessionen durch die teilweise sehr engen und steilen Sträßchen der Stadt, begegnen sich und quetschen sich aneinander vorbei. Alle 15 bis 20 Minuten bleibt jeder Zug stehen, den Kindern werden Klappstühle hingestellt und Anwohner und Bekannte geben den Kleinen Joghurt und Milch zu trinken sowie Süßigkeiten zu essen, es werden Fotos gemacht und die drei Verkleideten werden gegebenenfalls neu geschminkt und gekämmt.

 

Nachmittags jedoch schlägt die Stimmung um, und zusätzlich zu den ernsthaften Prozession findet ein buntes und ausgelassenes Fest statt, das Karneval nicht unähnlich ist: für die Kinder gibt es bunte Luftballons, Zuckerwatte, Spielzeug, Tröten und viel Süßes zum Naschen, es wird getanzt, gelacht, viel getrunken und die ausgelassene Stimmung schlägt sich auch in den bunten Verkleidungen mancher junger Männer nieder: mit Saris oder anderen Frauenkleidern laufen sie durch die Straßen und lauschen den Comedy-Vorstellungen auf öffentlichen Bühnen, von denen ich leider kein Wort verstehe. Grund für dieses Treiben ist ein historisches Ereignis, das bereits einige Jahrhunderte zurück liegt: König Pratap Mallas Sohn starb als kleiner Junge an den Pocken und die Königin war über den Tod ihres Kindes so in Trauer verfallen, dass sie monatelang weder sprach noch lachte und auch kaum essen konnte. Der König litt ebenfalls, da er seine geliebte Frau so dahinsiechen sah und ihr nicht helfen konnte. Da versprach er dem Menschen, der es schaffte die Königin zum Lachen zu bringen eine fürstliche Belohnung. Jeden Tag kamen nun Einwohner aus allen Gesellschaftsschichten und aus dem ganzen Land und versuchten, die Königin mit ihren Geschichten zu erheitern, ein wenig wie bei 1001 Nacht. Am Gaai jatra-Fest nun sah die Königin dem Festumzug zu und die Teilnehmer fingen an, den König und andere hochgestellte Personen zu imitieren und zu verulken sowie soziale Unegrechtigkeiten nachzustellen, was die Königin wieder zum Lachen brachte. Der Tradition gemäß darf jeder an diesem Tag sagen, was er oder sie von Politikern, Vorgesetzten und dem König hält und über alle Persönlichkeiten werden den ganzen Tag über Anekdoten erzählt und Witze gerissen.