02.10. bis 21.10.2010 Urlaub mit meinen Eltern in Nepal

Endlich ist Oktober und mein Urlaub beginnt. Ich finde mich pünktlich am Flughafen in Kathmandu ein, um meine Eltern abzuholen. Durch den wirren und starken Verkehr fahren wir zum Hotel und als meine beiden Mitfahrer sich über die Fahrweise der Nepali wundern und sich gegenseitig auf die in den Stromleitungen herumkletternden Affen, die Tempel am Straßenrand und die in ihren Saris und den bunten suruwal kurtha gekleideten Frauen hinweisen, die mir mittlerweile kaum noch auffallen, geht mir auf, dass ich mich doch schon ziemlich an Nepal gewöhnt und auch angepasst habe. Ich freue mich darauf, Nepal nun durch die Augen meiner Eltern wieder wie ein Neuling zu sehen und dennoch selbst auch Neues zu erleben, denn in unsere Urlaubszeit fällt das Fest dassain.

Dassain ist eine Art Erntedankfest und das Hauptfest in Nepal. Zehn Tage lang sind deswegen auch alle Läden, Büros und Organisationen geschlossen, da die Nepali mit puja, Familientreffen, Fasten oder Schlemmen beschäftigt sind. Auftakt des Festes ist der Neumondtag im Monat aswin und heißt ghatasthapana. Dieser Tag beinnt bereits vor Sonnenaufgang, wenn alle Menschen von Musik begleitet von Tempel zu Tempel pilgern und beten, opfern und gesegnete Blumen und tikka wieder mitnehmen. Auch ein rituelles Bad in den zur Zeit doch schon recht kühlen Flüssen gehört dazu. Wir beobachten auch, dass sich jeder eine Tüte, einen Korb oder gar ganze Eimer voll Flussschlamm mitnimmt und auf dem Weg in die nächsten Tempel schleppt. Zu Hause angekommen wird in großen Tontöpfen Weizen ausgesät, der in den letzten dassain-Tagen geerntet und ebenfalls geopfert werden wird.

Überall in den Städten sehen wir nun Pavillons, die mit meterweise Rüschen und Rosetten verziert sind und in denen die Göttin Kali mit ihrem Begleittier, dem Löwen und manchmal auch Szenen aus ihrem Schaffen und Wirken mit lebensgroßen Puppen nachgestellt sind. In den kommenden Tagen sehen wir immer wieder Gruppen, die durch die Straßen laufen, Musik machen und zu diesen zeitweilig errichteten Kali-Tempelchen pilgern, opfern und die Göttin um ihren Segen bitten. Diese Statuen werden dann am zehnten Tag des Festes, ekadashi genannt, in den Flüssen versenkt. Ebenfalls an ekadashi werden in den großen und berühmten Kali-Tempeln im Land Tiere geopfert: allein ins Kathmandu-Tal wurden 45.000 unkastrierte, männliche Ziegen transportiert. Am Kot Square nahe dem Durbar Square in Kathmandu werden 108 unkastrierte, männliche Wasserbüffel, ebenso viele Ziegenböcke, Hähne und Gänse geopfert.

Mehr Spaß versprechen die ebenfalls nur kurzzeitig aufgestellten, mehrere Meter hohen Bambusschaukeln, die man an dassain überall im Land bereits von Weitem sehen kann und die für Kinder wie Erwachsene gedacht zu sein scheinen.

 

Die ersten Tage unseres Urlaubs bleiben wir im Kathmandu-Tal und besichtigen alle bekannten Sehenswürdigkeiten: die beiden buddhistischen Stupas von Bodnath und Swayambunath, die Durbar Squares in Patan, Kathmandu und Bhaktapur, das hinduistische Heiligtum samt Verbrennunsstätten in Pashupatinath, Märkte, Plätze und Tempel; doch auch kleine, für die meisten Touristen versteckte Orte kenne ich mittlerweile, so dass ich meinen Eltern auch ruhige und schöne Sehenswürdigkeiten bieten kann, die man nicht im Lonely Planet oder Beadeker findet.

Auch für mich neu ist die Tour, die wir nach Dakshin Kali machen, einem Tempel etwa 20 Kilometer südlich von Kathmandu, der der schwarzen Göttin Kali geweiht ist. Wir lassen uns früh morgens mit dem Taxi zum Ratna Park fahren und finden dort nach einigen Minuten den Bus, der uns nach Dakshin Kali bringen soll: ein bunt bemaltes Gefährt, das jedoch so aussieht, als ob es bei uns bereits vor einem Vierteljahrhundert durch den TÜV gefallen wäre. Doch guten Mutes steigen wir in den Oldtimer ein und nehmen in dem fast leeren Bus die vordersten Plätze ein. Bald jedoch füllt sich der Bus und ich muss meine Tasche auf den Schoß nehmen, damit sich noch eine Frau neben mich setzen kann. Als sich noch eine weitere junge Frau dazu quetschen will und mir bedeutet, dass ich meine Beine doch nicht schräg stellen soll, da das viel mehr Platz braucht als wenn ich gerade dasitze, erkläre ich ihr, dass das nicht geht, da meine Beine zu lang sind, um auf andere Weise Platz zu haben. In der Reihe hinter mir versuchen meine Eltern, ebendies einem jungen Mädchen zu erklären, die meinen Vater ebenfalls dazu auffordert, zu rücken, da auf diesen Bänken immer drei Personen nebeneinander Platz haben. Nachdem sowohl meine Nebensitzerin als auch die anderen Fahrgäste sich lange und lachend darüber unterhalten haben, dass wir nicht zusammen rücken möchten und ich immer noch versuche, zu erklären, dass wir dafür einfach zu groß sind, hält der Bus nach einer kurvenreichen Fahrt durch Reisfelder und in die Hügel endlich am Endpunkt an. Als wir drei aufstehen und, die Köpfe wegen der niedrigen Decke schräg gestellt, auf die Tür zulaufen, ernten wir damit eine verwunderte Musterung der nepalischen Mitreisenden von Kopf bis Fuß und ungläubig große Augen, die jetzt jedoch zu begreifen scheinen, warum wir auf den Bänken nicht mehr zusammen rücken konnten. Die Busfahrt war ein Erlebnis, das durch den Tempel leider nicht zu toppen ist, denn dieser entpuppt sich als kleines, unscheinbares Heiligtum im Wald. Obwohl heute Dienstag und somit nach dem Samstag der Hauptopfertag ist, stehen heute keine zig Gläubiger mit Ziegen, Büffeln und Hühnern schlange. Vermutlich treten die meisten Menschen so kurz vor dem Hauptfest dassain etwas kürzer mit Opferungen, denn so eine Ziege ist für viele Nepali fast unerschwinglich. Meine Mutter sieht ob der fehlenden Opferungen ganz zufrieden aus und nach einem kleinen Spaziergang erreichen wir die kleine Newaristadt Pharping, die fast ausgestorben scheint. Die meisten Läden sind geschlossen, wir müssen auch mehrere Versuche starten, bevor wir eine Flasche Wasser kaufen können. Als wir über einen großen, freien Platz laufen, werden wir von einem zehnjährigen Knirps mit der üblichen Frage „Where you from?“ aufgehalten. Auf unsere Antwort „Germany“ bekommt der Junge glänzende Augen und schießt wie aus der Pistole geschossen los: „Ah, I know: Ozil from Werder Bremen one goal at the worldchampionchip, Bastian Sweinsteiger from Bayern Munchen, Lukas Podolski from Koln two goals, Thomas Muller from Munchen five goals, Klose shot four goals.“ Anscheinend ohne Luft zu holen sprudelt er uns nun alle Spieler samt Ersatzspieler des deutschen WM Kaders entgegen. Als er damit fertig ist und wir uns auch zu seiner Zufriedenheit erstaunt und erfreut zeigen, meint er, dass er auch alle Spieler der englischen Premierleague kennt und wir können ihn gerade noch bremsen, bevor er uns die englischen Spieler herunterrattert.

 

Am Abend sitzen wir in einem kleinen Restaurant, das mit seinen drei Tischen den Namen kaum verdient und bestellen typisch nepalisches Essen: verschiedene Currys, malai kofta und dazu das knusprige, dünne Brot mit Namen papadam. Zu trinken haben wir uns eine tongba bestellt, laut Reiseführer ein tibetisches Bier, das aus fermentierter Hirse hergestellt wird. Der Ober kommt mit einem großen Krug aus Bambus, der bis oben hin voll ist und aus dem drei Strohhalme heraushängen und stellt eine große, pfefferminzfarbene Thermoskanne auf den Tisch neben den Krug. Nachdem wir nicht so recht wissen, was wir mit der Thermoskanne tun sollen, schenkt er das heiße Wasser in den bereits voll wirkenden Bambuskrug, in dem die Hirse nun in Verbindung mit dem Wasser zu einem kleinen Häufchen zusammenschrumpft. Ich rühre um und trinke einen Schluck von diesem Hirsetee, der ungewohnt, etwas bitter und säuerlich schmeckt. Mein Gesichtsausdruck scheint meinen Eltern nicht gerade Mut zu machen, doch auch sie probieren einen kleinen Schluck. Mit Bier hat das alles wenig zu tun, doch als wir immer wieder heißes Wasser aus der Thermoskanne über die Hirse gießen, gewöhnen wir uns mehr und mehr an den Geschmack und zum Ende stellen wir fest, dass uns dieses seltsame Gebräu wirklich gut schmeckt. Gerade als wir nach der Rechnung fragen, geht das Licht aus und wir sitzen plötzlich in Dunkelheit. Meine Eltern halten sich bei ihrem ersten load shedding ganz gut und bis der Kellner wenige Minuten später mit den Kerzen kommt, haben wir unsere Taschenlampen längst in der Handtasche gefunden und angeschaltet. Unser Heimweg durch Thamel wird durch den Stromausfall jedoch kaum beeinträchtigt, da die meisten Läden und Restaurants Generatoren haben und so durch die Lichtreklame und Energiesparlampen in den Läden ausreichend Licht auf die Straße fällt um uns gut und sicher wieder ins Hotel zu leiten. 

Kathmandu und Umgebung

Chitwan Nationalpark

Nach einer knappen Woche fahren wir aus der Stadt und dem Kathmandutal heraus, um im Chitwan Nationalpark Nashörner, Bären, Wildkatzen, Krokodile und andere wilde Tiere zu sehen. Ich schwärme meinen Eltern vor, wie viele Tiere ich in meinem Urlaub im vergangenen Jahr gesehen habe und freue mich schon auf neue und atemberaubende Momente.

Doch bevor wir auf Safari gehen, genießen wir die Ruhe, die uns in Kathmandu etwas gefehlt hat und bei einem Cocktail sitzen wir am Fluß und betrachten die Sonne, die hinterm Wald untergeht und als knallroter Ball am Horizont verschwindet. Doch schon am nächsten Tag sitzen wir in einer Holzvorrichtung auf dem Rücken eines Elefanten mit Namen Shah Rukh Khan. Auf dem Weg zum Wald lässt er sich Zeit und trottet gemächlich dahin, rupft hier mal ein paar Blätter vom Baum und dort mal einen ganzen Ast ab, den er dann ganz genüsslich in seinem Mund verschwinden lässt. Ein Mungo huscht, von uns aufgeschreckt, über die Straße und von unserem Aussichtspunkt aus können wir auch drei wunderschöne Pfauen entdecken. Am Eingang in den Nationalpark warten bereits andere mit Touristen beladene Elefanten und wir ziehen gemeinsam los. Die Bilanz nach zwei Stunden auf dem Rücken des Dickhäuters: viele Zweige, die uns ins Gesicht, an Arme und Beide geschlagen haben, zwei Bäume, die unser Elefant einfach platt gemacht hat, da er nicht daran vorbeikam und ein paar Hirsche, die schnell ins Unterholz gsprungen sind, als wir vorbei kamen, die Augen und Schnautze eines Krokodils im Fluß, ein paar blaue, fast schon leuchtende Eisvögel und bunte Schmetterlinge. Keine Nashörner, keine Tiger, keine anderen Wildkatzen, keine Bären. Aber eine Menge Spaß auf dem Rücken des Elefanten.

Von der Jeep-Safari am nächten Tag erwarte ich viel mehr Tiersichtungen, haben wir dabei doch letztes Jahr die meisten Tiere vor die Linse bekommen. Doch diesmal schießen wir mit 40 Stundenkilometern auf der kiesigen Hauptstraße durch die an den Nationalpark angrenzenden Waldgebiete. Als wir die ersten Hirsche, Reiher und Pfauen entdecken, müssen wir unseren Guide bitten, anzuhalten, so dass wir die Tiere beobachten können. Zwei Mal taucht ein Krokodil angeblich direkt vor uns ab und am Waldrand nah dem Horizont steht ein Nashorn, das jedoch so weit entfernt ist, dass es lediglich als solches erkennbar wird, als ich es mit meiner Kamera ganz nah heranzoome.

Da unsere Ausbeute an diesem Nachmittag nicht sonderlich groß ausfällt, beschließen wir, noch etwas durch die Läden zu schlendern und beim Einkaufen erfolgreicher zu sein. Mein Vater entdecket einen kleinen, geschnitzten Elefanten, der ihm gut gefällt und ich frage die Verkäuferin auf Nepali nach dem Preis. Nach einem kurzen Kichern (der für mich mittlerweile bereits gewohnten Reaktion auf Fragen in Nepali) schreit sie ins Hinterzimmer, wo wir ihren Mann vermuten: „Eh budhi! Alter, was kostet denn der Elefant? Sie spricht auch Nepali.“ Ohne Rücksicht darauf, dass ich nicht nur Nepali spreche, sondern auch verstehe, verhandeln die beiden um den Preis, woraufhin uns die Frau 300 Rupien angibt. Als ich sie darauf hinweise, dass ihr Mann gerade nur 250 Rupien genannt hat und nach weiterem Kichern können wir den Preis so noch einmal um 50 Rupien reduzieren und ziehen zufrieden ab und gehen weiter auf die Pirsch nach schönen Souvenirs.

Butwal, Lumbini, Pokhara und zurück nach Kathmandu

Einen dicken, warmen Schal aus Yakwolle kaufen wir für meine didi in Butwal, die für uns bereits die Wohnung sauber gemacht, die Betten bezogen und Obst und Gemüse eingekauft hat, als wir zu mir nach Hause kommen.

Sie hat sich angeboten, für uns daal bhaat zu kochen und meiner Mom zu zeigen, wie man es zubereitet, da ich meiner Mutter da nicht so sehr weiterhelfen kann. Also fängt didi an, Gemüse zu schälen und zu schneiden, die Linsen zu waschen und mit Wasser, Salz, Kurkuma und anderen Gewürzen aufzusetzen, den paneer, einen aus reiner Milch hergestellten Weichkäse, zu würfeln und zu frittieren, während ich alles, was sie mir auf Nepali erzählt, ins Deutsche übersetze und meine Mama fleißig mitschreibt. Nach dem Kochen schicke ich didi nach Hause, da sie selbst ja auch ihr dassain-Fest vorbereiten muss und wir ihr mehrmals versichern, dass wir das Geschirr selbst spülen und aufräumen können.

 

Wie ich meinen Eltern versprochen habe, schmeckt dieses daal bhaat besser als jedes andere, das wir bisher gegessen haben und ich bin gespannt, was meine Mutter von ihren eigenen Versuchen erzählen wird. Nach dem Essen gehen wir auf den Markt, der nur zehn Minuten zu Fuß entfernt liegt und auch wenn wir in Nepal nicht so viel exotisches Obst und Gemüse vorweisen können wie viele andere asiatischen Länder, ist ein Besuch immer wieder spannend. Säckeweise Gewürze wie Kurkuma, Bockshornklee, Senfsamen und Koriander werden angeboten, der würzige Geruch vermischt sich mit den schweren Schwaden der Räucherstäbchen, die an manchen Ständen angezündet werden und einem das Atmen erschweren. Hinter Gemüse, Gewürzen und verschiedenen Sorten von trockenem oder geschlagenem Reis wird Öl abgefüllt und in Tütchen verpackt, Eier, Fleisch und Fisch verkauft. Als wir aus dem mit Plastikplanen abgedeckten Bereich herauskommen, in dem sich die Hitze gestaut hat, betreten wir einen Bereich, der meiner Mama ein Lächeln entlockt: hier werden hunderte Saris und Stoffe für suruwal kurtha angeboten, grüne, gelbe, türkise und rote Stoffbahnen hängen von der Decke herunter während sich weitere glitzernde und mit Pailetten funkelnde Stoffe am Boden stapeln. Nach langem Auswählen entscheidet sich meine Mom für zwei bunt gemusterte Stoffe, traurig die anderen hinter sich lassend.

Als wir wieder zu Hause ankommen fragt Mama, ob sie meinen Sari einmal tragen darf und mit viel Mühe versuche ich, den grünen Stoff so um sie zu drapieren, wie er gehört. Erst einmal um den Körper und das obere Ende in den Rock hineingeklemmt, dann noch eine halbe Umdrehung um den Rücken, vorne ein paar Falten gelegt und dann den rest Stoff ebenfalls in Falten über die linke Schulter geworfen, so dass die Zierborte über den Rücken hängt. Doch irgendwie reicht der Stoff trotz der Länge nicht aus und wir müssen ein wenig improvisieren. Am Ende sieht der Sari fast so aus wie gewohnt, nur dass das lose Ende unerklärlicherweise über die rechte Schulter hängt und die gesamte Konstruktion mehr als locker sitzt. Doch für ein schönes Foto reicht es allemal und wir wollen ja nicht auf eine Hochzeit gehen, sondern nur etwas Modeschau machen.

 

Doch da Butwal sonst nicht viel zu bieten hat, führt uns unsere Tour bereits am nächsten Tag nach Lumbini, wo wir einen Tag an der Geburtsstätte Buddhas zubringen und am kommenden Tag begeben wir uns in Richtung Pokhara. Diesmal nehmen wir wieder den Bus. Und dass Bus fahren in Nepal immer ein Erlebnis ist, wissen meine Eltern bald nur zu gut. Unsere Fahrt nach Pokhara wollte ich bereits im Voraus buchen, da die öffentlichen Verkehrsmittel um dassain herum immer vollkommen ausgebucht sind. Direkt bei unserer Ankunft in Butwal hatten wir uns also zum Busbahnhof begeben und versucht Tickets für den Greenline Bus in zwei Tagen zu bekommen. Nach einiger Diskussion erfuhr ich, dass es keine Touristenbusse auf dieser Strecke gibt und wir einen local bus nehmen müssen. Also gut, ich hätte zwar die Beinfreiheit und die Klimaanlage des Touristenbusses zu schätzen gewusst und dafür auch gerne die 700 Rupien Fahrtgeld in Kauf genommen, aber so soll es halt nicht sein. Das Problem jedoch ist, dass man die local busses nicht im Voraus buchen kann. Ich versuche dem Mann am Schalter verständlich zu machen, dass wir definitiv einen Bus am Freitag möchten und dass es nicht in Frage kommt, dass ich mit meinen Eltern aufs Dach des Busses klettere, wie das hier häufig gesehen wird. Mir wird zugesichert, dass ich für uns drei Sitzplätze erhalten werde und da sich mittlerweile bereits eine größere Menschenmenge um uns geschart hat, die das Schauspiel verfolgt, habe ich ja auch Zeugen dieser Aussage. Vorsichtshalber werden uns alle Kollegen hinterm Schalter vorgestellt, so dass unsere Wünsche jedem bekannt sind. Ein Blick ins Gesicht meiner Mutter zeigt ihre großen Zweifel, ob das je mit unserer Fahrt am Freitag klappt, doch mein Vater hält das Ganze für eine sehr abwechslungsreiche Episode in unserem bereits sehr bunten Urlaub.

 

Am Freitag Morgen stehen wir also mit gepackten Koffern an der Straße und müssen uns erst einmal drei rikshas besorgen, die uns zum Busbahnhof bringen sollen. Normalerweise ist das nie ein Problem, doch heute scheinen um diese frühe Uhrzeit nur wenige Fahrer ihre Dienste anzubieten, so dass wir meine Mom mit ihrer blauen Reisetasche als erstes auf die Reise schicken. Wenige Minuten danach folgen Papa und ich kurz hintereinander, so dass wir gleichzeitig beim Bahnhof ankommen, wo wir mit heftigem Winken schon von Weitem von meiner Mutter erwartet werden.

Das wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn sie ist eh einen Kopf größer als alle, die sonst am Busbahnhof umher wuseln. Ich suche also einen der Kollegen am Schalter, der mich auch sofort wieder erkennt und mir bedeutet mitzukommen. Während mein Dad nun Mama und die Koffer holt, folge ich dem Mann quer durch die Menschenmenge zu einem Bus, der in zehn Minuten nach Pokhara fahren soll. Am Schalter dieser Busgesellschaft wird nun hart verhandelt und ich verstehe zwar nicht viel von dem, was gesagt wird, doch mir wird ein Ticket für die Plätze eins, zwei und drei überreicht. Während ich zahle, werden unsere Koffer bereits aufs Dach geladen und fest verzurrt, was meine Eltern erst mit Besorgnis, dann mit etwas Erleichterung verfolgen. Bis wir in den Bus einsteigen, sind auch die drei Plätze geräumt und wir können uns setzen. Meine Eltern haben eine Reihe mit Doppelsitz für sich alleine, ich teile meine mit einer sehr kräftig gebauten Mutter und ihrer ca. zehnjährigen Tochter.

Die anderen Reihen sind mit bis zu fünf Personen besetzt, die beiden Erwachsenen haben auf und zwischen sich noch Kinder, Taschen und Tüten gepackt und auch der Gang ist vollgestellt mit allen möglichen Dingen, auf dem Dach werden neben den größeren Gepäckstücken auch noch drei Ziegen angebunden und zu guter Letzt steigen noch einige junge Männer, in ihren Flipflops erstaunlich flink, aufs Dach, von dem sie immer nur kurz vor Polizeikontrollen wieder zurück in den Bus klettern, um hinter dem Polizeiposten wieder zurück aufs Dach zu steigen.

 

Die Fahrt kann also losgehen und ich lehne mich zurück in meinen Sitz, der ein wenig nachgibt, so dass ich die kommenden Stunden in einer halb sitzenden, halb liegenden Position verbringen werde. Meine Nachbarin fragt mich (wie nicht anders zu erwarten war), ob ich bereits gefrühstückt habe und ich beantworte diese besorgte Frage positiv. Sie teilt mit mit, dass sie auch bereits gegessen haben und nun nach Pokhara zur Familie ihres Mannes fahren, um dort dassain zu feiern. Dennoch kauft sie, kaum dass wir den Busbahnhof verlassen haben, erst einmal eine große Tüte Chips, die die beiden auch schnell verdrücken.

Aus Butwal heraus führt eine etwas unebene und kurvige Straße und plötzlich höre ich ein erschrecktes „Huch“ von meiner Mom und sehe vor lauter Flügelflattern und herumfliegenden Tüten erst gar nicht, was passiert ist. „Mir ist grad ein Huhn auf dem Schoß gefallen“, meint sie dann etwas erstaunt. Das Huhn erweist sich als ein prächtiger Hahn, der seine unerwartete Freiheit nach dem Fall aus der Hut- beziehungsweise Huhnablage genießt und sich nun nicht wieder in den engen Pappkarton packen lassen möchte. Etwas peinlich berührt versucht die junge Eigentümerin jedoch schließlich erfolgreich, dem Hahn die Flügel an den Körper anzulegen und ihn dan wieder in der Box verschwinden zu lassen, so dass nur noch der Kopf aus den Griffen der Plastiktüte herausschaut. Danach kommt er zurück über unsere Köpfe und bleibt dort auch den Rest der Fahrt über und gibt lediglich manchmal ein leises Gackern von sich.

 

Als wir Tansen erreichen ist erst eine gute Stunde vorbei, doch wir machen die erste Snackpause. Auch meine Sitznachbarin greift zu und ersteht eine Portion Samosas und eine weitere mit Pakaudas. Jede Schale für sich hätte mir für ein Abendessen ausgereicht, doch innerhalb kürzester Zeit sind beide Teller leergeputzt. Auf der weiteren Fahrt gibt es noch Äpfel und Orangen, eine Portion gebratene Erdnüsse und Kichererbsen mit scharfen Gewürzen, Zwiebeln und Koriandergrün, und nachdem die Kleine drei Plastiktüten vollgespuckt und an mir vorbei aus dem Fenster geworfen hat, geht es weiter mit Eis, Guaven, Puffreis und Schokolade. Ich kann meinen Augen kaum trauen, was die Beiden während der kurzen Zeit alles verdrücken, wundere mich aber nicht mehr, dass so viele Menschen auf Busfahrten durch Nepal erbrechen müssen. Ich dachte immer, dass das an den schlechten Straßenverhältnissen und der Fahrweise der Busse liegt, doch wenn von Beginn der Busfahrt bis zum Aussteigen ununterbrochen gegessen wird, dann ist mir schon klar, warum die Straßen in diesem Ausmaß mit diesen schwarzen Tütchen verziert sind.

 

Als wir in Pokhara im Hotel ankommen, werden wir schon von meinem Freund Narayan, dem Hotelmanager, erwartet, mit tikka, Tee und katta, den gelben Seidenbändern begrüßt und für den kommenden Tag eingeladen, vijaya dashami mit ihm und seiner Familie in dem Dorf in den Bergen zu feiern, in dem er aufgewachsen ist. Erst hält uns der Gedanke an eine zweistündige Wanderung ins Dorf und die Vorstellung ab, dass wir bei der Opferung einer Ziege oder Wasserbüffels Zeuge sein müssten, doch schließlich sagen wir zu, denn für meine Eltern ist dies ein einmaliges Erlebnis und auch ich freue mich, mein erstes dassain-Fest wenigstens teilweise mit Nepali zu verbringen. Wir steigen am kommenden Morgen also gegen 10 Uhr ins Taxi und holen seine Frau und Kinder zu Hause ab. Mit unseren bequemen Hosen und Wanderschuhen sind wir mehr praktisch als schön gekleidet, was insbesondere beim Vorstellen von Narayans Familie auffällt: seine Frau Muna ist in eine wunderschöne suruwal kurtha mit Goldstickereien gekleidet, seine 13-jährige Tochter Barsha trägt ein rotes, schulterfreies Cocktailkleid, schwarze Leggins und rote Ballerinas und die 8-jährige Puja ist in ihrem weiß-rosa Rüschenkleid mit Petticoat wie eine kleine Prinzessin angezogen. Lediglich der 5-jährige Sohn trägt wie wir Jeans und ein T-Shirt. Auf geht es in die Berge. Und schon bald zeigt sich der Nachteil der schönen Kleidchen und der Schläppchenschuhe. Doch als Muna ihrer Tochter das weiße, viel zu lange Kleidchen mit dem Gürtel hochbindet und die rosa Strickweste auszieht, schießt das Mädchen wie ein Pfeil hinter ihrem Vater her, der etwas vor uns läuft und den Sohn auf den Schultern trägt. Da es keinen richtigen Wanderweg gibt, steigen wir über glitschige Steine und Wurzeln, über umgefallene Bäume und durch große Pfützen hinweg immer weiter hinauf, bis wir nach knapp zwei Stunden das Dorf erreichen. Da Narayan seinem Bruder bereits angekündigt hat, dass wir mitkommen, werden wir auch hier wieder wie gute Freunde begrüßt. Da mit der eigentlichen Zeremonie gewartet wurde, bis wir kommen, übergeben wir nur schnell das Obst, das wir als Gastgeschenk gekauft hatten und setzen uns neben die Anderen auf die kleine Mauer, die den Hof umgibt und auf der bereits einige Kinder und Erwachsene warten.

Narayan erklärt uns, dass dieser Tag der tikka-Tag des Festes ist und man allen jüngeren Familienmitglieder seinen Segen gibt. Auf großen Blättern liegt der rot gefärbte Reis sowie Blüten und Gräser bereit. Sein Vater beginnt nun, dem ältesten Sohn seine tikka auf die Stirn zu kleben, Narayan als der zweite Sohn ist nach seinem Bruder dran. Reihum bekommen nun alle Anwesenden, die jünger sind, tikka, Blüten und Segen überreicht. Nachdem wir alles eine Weile beobachtet haben, nehmen wir uns selbst das Blatt mit tikka-Reis und vergrößern den ohnehin schon großen Reisklecks auf der Stirn der Kinder, bei den Erwachsenen müssen wir dann nachfragen, wer der oder die Ältere ist und die tikka geben darf.

An die Kinder werden nun auch noch Fünf- und Zehnrupienscheine verteilt bevor die Cousins und Cousinen alle wieder abziehen und wir mit daal bhaat versorgt werden. Narayan entschuldigt sich nun auch, da er noch einige Onkel und ältere Verwandte aufsuchen muss, um die tikka zu empfangen und so haben wir die Gelegenheit, uns das Dorf anzuschauen, das aus mehreren, weit verteilten Bauernhöfen besteht. Der Hof seines Bruders umfasst einen kleinen Garten, in dem Mais, Pepperoni, Spinat, Kartoffeln und anderes Gemüse gepflanzt wird. In den umliegenden Feldern wird je nach Höhenlage Hirse oder Reis angebaut. Im Stall steht eine Kuh neben einem mächtigen Wasserbüffel, drei Ziegen und einigen Hühnern. Narayans Schwägerin zeigt uns stolz den Tonofen, der in die Küche eingebaut wurde und das offene Feuer ersetzt, das früher die gesamte Küche verqualmt und viel Holz verbraucht hat. Als wir gerade bei sel roti und scharfem accar sind kommt Narayan zurück und wir machen uns wieder auf den Heimweg. Dieser führt uns jedoch wieder an mehreren Höfen vorbei, in denen Verwandte von Narayan leben und so bekommen wir noch einige weitere tikkas auf die Stirn, Süßigkeiten oder Obst als Wegzehrung und gute Wünsche und Einladung für das kommende dassain-Fest. Als wir nun weiter bergab laufen, fällt mir bei jedem großen und festen Schritt Reis aus der tikka und ich hoffe nur, dass der Segen nicht ebenso schnell zu bröckeln beginnt. Die Prinzessin sieht mittlerweile aus wie jedes andere Kind auch, das stundenlang mit anderen Kindern im Wald und auf dem Bauernhof gespielt hat und auch wenn das Kleidchen schmutzig und fleckig ist, so hebt Puja es dennoch weiterhin bei jedem Schritt anmutig hoch, damit der Saum nicht im Dreck schleift oder an den Zweigen der Büsche hängenbleibt.

 

Die restlichen Tage in Pokhara verbringen wir mit kleinen Wanderungen in die Umgebung zur Friedensstupa und einer traumhaften Massage; leider verdecken dicke Wolken und Regen die Berge fast immer. Am letzten Tag jedoch, kurz bevor um 7.30 Uhr unser Bus nach Kathmandu abfährt, zeigt sich ein gigantischer Bergblick und endlich haben meine Eltern wenigstens für kurze Zeit ein tolles Bergpanorama vor sich.

Die Berge begleiten uns auch an unserem letzten Urlaubstag, den wir wieder in Bodnath verbringen, von einem Restaurant auf dem Dach eines der hohen Häuser noch einmal den Blick auf Berge und Stupa einsaugen und die vergangenen drei Wochen revue passieren lassen.

 

Am Nachmittag geht der Flieger meiner Eltern nach Deutschland, am kommenden Morgen mein Bus nach Butwal, wo nun wieder der Alltag einkehrt. Naja, nicht ganz Alltag, denn zu der Cholera Epidemie hat sich nun auch das Dengue-Fieber gesellt, das einige meiner Kollegen für eine Weile lahm legt und in Butwal bereits mehrere Tote gefordert hat. Keine Toten, aber einige Verletzte gab es bei mehreren Anschlägen auf Busse, die eine radikale Partei aus dem Terai geplant und umgesetzt hatte. In ganz Butwal sind mehrere Busse explodiert und ich bin nur froh, dass ich nun eine Weile nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln mehr fahren muss.