Tihar II

Ich stehe vor einer schwierigen Entscheidung. Es ist eine Woche vor Tihar und ich bekomme bereits wieder mehrere Einladungen von nepalischen Freunden, das Fest bei ihnen zu verbringen. Letztes Jahr Tihar war super mit all meinen Freunden hier. Doch dieses Jahr habe ich vor, die freien Tage zu nutzen und mir neue Orte in Nepal anzuschauen. Immerhin ist jetzt auch die beste Reisezeit.

Nach vielen Überlegungen steht die Tour dann doch fest und ich habe meinen Freunden abgesagt: erst nach Gorkha, dann zum Manakamana-Tempel und zum Abschluss nach Bandipur.


Bereits die Fahrt ist traumhaft und führt mich immer am Fluß entlang und an Reisfeldern vorbei und ich mache mehrere Fotostopps. Ist schon anders, wenn man die Strecke auf dem Weg in den Kurzurlaub fährt oder zur nächsten Besprechung in Kathmandu.

In Gorkha angekommen checke ich erst im Hotel ein und gehe dann hoch zur alten Burg. Heute spannt sich ein strahlend blauer Himmel über uns und ich hoffe, dass ich bei diesem Besuch der Festung im Hintergrund eine schneebedeckte Bergkette habe. Die Burg ist im newarischen Stil erbaut, also wie viele Gebäude in Kathmandu, Patan und Bhaktapur auch. Roter Backstein und dunkle Holzschnitzereien an Tür- und Fensterrahmen sowie den Stützbalken des Daches. Sogar zwischen den Ziegelreihen sind teilweise holzgeschnitzte Zierleisten angebracht. Hier in Gorkha wurde Prithvi Narayan Shah geboren, der alle drei Königsstädte im Kathmandu-Tal eingenommen hat und bis zur Revolution vor einigen Jahren mit seinen Nachkommen die Könige Nepals gestellt hat.

Doch so schön der Himmel auch ist, die Berge sind sehr blass und irgendwie ist das Wetter am Horizont etwas diesig. Schade, doch die Burg und auch der anschließende Bummel durch den Ort ist sehr interessant. Überall werden nun wieder die Farbpulver verkauft, die für die Motive gebraucht werden, die heute Abend Laxmi in die Häuser locken soll. Abends sind auch hier die Häuser bunt beleuchtet und vom Dach des Hotels habe ich einen schönen Blick über den gesamten Ort.

Am kommenden Tag fahre ich mit dem Bus in Richtung Mugling. Von dort aus geht die einzige Seilbahn des Landes. Sie führt von der Straße bis hoch zum berühmten Manakamana-Tempel. Hier pilgern viele Nepali hin und opfern Ziegen oder andere Tiere. Für diese muss daher für die Seilbahn auch nur ein einzelnes Ticket gelöst werden. Ohne Rückfahrschein. Die Fahrt geht erstaunlich hoch, weiter als man von der Straße aus sieht. Nach einer knappe Viertelstunde komme ich an der oberen Station an und begebe mich durch eine enge Gasse mit vielen kleinen Devotionalienläden zum Tempel. Auch hier auf dem Platz kann man noch Körbe mit Blumengebinden, Hähne, Räucherstäbchen und alle anderen Zutaten für die Puja erwerben. Ich laufe um den Tempel herum und beobachte die in wunderschöne Saris oder Suruwal Kurthas gekleideten Frauen, die mit einer Ziege an der Leine um den Tempel gehen, Kerzen anzünden und die Ziege mit heiligem Wasser bestreuen. Nach 270° der Tempelumrundung wird die Ziege unruhig, sie scheint zu wissen, was ihr blüht und nicht besonders glücklich über ihre Hauptrolle bei der Opferzeremonie zu sein. Sie stemmt die Füße auf den Boden und wird nun hinter der jungen Frau hergezogen, wobei ein jämmerliches Blöken dem Duo folgt.

Es ist noch früh und ich spaziere durch den Ort und hoch zum Gipfel des kleinen Berges, wo eine Höhle und ein schöner Tempel mit Aussicht sein sollen. Die Aussicht ist schön, der Tempel eher gewöhnlich, aber der Weg führt durch kleine Weiler und durch Reisfelder und ist zwar steil, aber dennoch gut zu laufen.

Als ich nach drei Stunden zurück zum Tempel komme, riecht man das Blut der geopferten Ziegen und Hähne bereits von Weitem und das Gebrumm der vielen Fliegen lässt mir Schauer über den Rücken laufen. Ich bleibe also nicht mehr lange am Tempel und fahre wieder mit der Seilbahn herab. Von dort muss ich nun wieder den Bus nach Gorkha zurück nehmen, doch leider kommen nur noch Busse in Richtung Kathmandu oder sie brausen einfach durch ohne zu halten. Na super, sonst ist hier immer Stau vor lauter Bussen, so dass ich mich mit meinem Auto vorsichtig durchschlängeln muss, und wenn man mal einen Bus braucht, dann kommt keiner. Nach 20 Minuten fragt mich ein Motorradfahrer, ob er mich mitnehmen kann, er fährt allerdings nur bis zum nächsten Ort. Also geht es erst mit dem Motorrad los, dann finde ich einen kleinen, sehr überfüllten Bus, der mich nach Abu Khaireni bringt und dort kommt dann endlich auch ein Bus nach Gorkha vorbei.

Abends spaziere ich wieder durch den Ort und genieße die Stimmung von Tihar. Überall auf dem Boden sieht man noch die Symbole von Laxmi Puja und ich habe einen traumhaften Sonnenuntergang hinter den Reisfeldern.

Tags drauf laufe ich ganz früh zum Aussichtsberg in Gorkha, da ich den Sonnenaufgang hinter den Bergen beobachten will, aber es herrscht überall Morgennebel und kein noch so kleines Gipfelchen ragt durch die Wolken durch. Was soll's, ich bin ja nun unterwegs nach Bandipur, einem kleinen, wunderhübschen Newaristädtchen abseits des Touristentrubels. Und von dort soll es ebenfalls unvergleichliche Sicht auf die Berge geben. Der Ort ist über eine Serpentinenstraße zu erreichen und liegt gleich mal einige hundert Meter höher als der Highway, von dem ich abbiegen muss.

Sehr sauber und ordentlich, hier liegt kein Papierchen am Boden, so ist mein erster Eindruck. Ungewöhnlich in Nepal. Und ein wenig verschlafen, was jedoch wohl daran liegt, dass die Tihar-Feiern gestern ziemlich ausgelassen waren, denn nach und nach sehe ich immer mehr geöffnete Lädchen, Männer beim Karten- oder Würfelspiel und Kinder, die auf den Plätzen vor den Tempeln fange spielen.

Mein Hotel liegt mitten im Ort und ich begebe mich gleich auf einen Spaziergang zu den Highlights des Städtchens. Laut der Karte und Beschreibung in meinem Lonely Planet gibt es mehrere Touren, die je ein paar Stunden dauern und ich wähle mir eine aus, die mich an ein paar Tempeln und einem alten Wasserplatz vorbeiführt. Doch dort bin ich bereits nach 20 Minuten angekommen. Hmmm, seltsam. doch auch die anderen Touren entpuppen sich als sehr kurz und so habe ich wohl das meiste bereits am ersten Nachmittag gesehen. Ich sitze also in einem Café und beobachte die Menschen um mich herum. Auch die anderen Touristen passieren immer wieder den selben Platz, denen geht es wohl wie mir.

Da mir mitgeteilt wurde, dass das Restaurant, das zu meinem Hotel gehört, über die Feiertage geschlossen hat, gehe ich in ein anderes, kleines Restaurant und bestelle mir ein Thali. In vielen goldenen Schälchen bekomme ich nun Linsen, Bohnen, verschiedene Gemüse, Hühnchenfleisch und vieles mehr. Seeehr lecker und ich esse bis ich fast platze. Während ich esse, kommen mehrere Gruppen Kinder und Jugendlicher vorbei und tanzen und singen. Kaum dass ich meinen Löffel weg gelegt habe, muss auch ich mittanzen. Mist, hätte ich mir nur etwas mehr Zeit gelassen mit dem Essen! Nach einigen Tänzchen und hunderten Fotos von mir gehe ich zu der großen Bühne, die vor dem Haupttempel aufgebaut ist. Naja, groß halt im Kontext von Bandipur ;o) Sie ist keine zwei auf fünf Meter groß, aber völlig ausreichend für die Band, die Nepali-Rock spielt und damit die Jugendlichen zum kreischen und tanzen bringt. Mann, da geht ja echt die Post ab! Als das Konzert mit Brian Adams' "Summer of 69" beendet wird, kann auch ich endlich mal mitsingen. Es ist bereits halb neun, als ich endlich zu meinem Hotel zurückkehre. Ich hoffe, dass es noch geöffnet ist, doch jetzt an den Feiertagen habe ich ganz gute Chancen.

Als ich in mein Hotel komme, werde ich dort bereits von der gesamten Familie erwartet: "Wo warst du denn so lange? Wir warten mit dem Essen auf dich!" Was? Essen? Ich dachte, das Restaurant ist geschlossen! Ja, das Restaurant ist zu, aber die Familie hat für den Feiertag lecker gekocht und da  bin ich eingeladen. Achnee! Jetzt, wo ich pappesatt bin. Um nicht unhöflich zu sein, esse ich doch noch ein wenig und unterhalte mich mit den einzelnen Familienmitgliedern. Der Opa spricht leider so ein seltsames Nepali, so dass ich kaum ein Wort verstehe. Ich frage mich schon, ob er mich auf newari zutextet, aber da ich einzelne Worte doch verstehe, ist es wohl doch Nepali. Mit dem Rest der Familie kann ich mich dagegen einfacher unterhalten und ich erfahre, dass ein Teil von ihnen wie ich in Butwal wohnt. Gar nicht weit weg von meinem Sprachlehrer Birendra. Jaja,die Welt ist klein.

Noch ein Schnäpschen mit den Männern und alle verschwinden ins Bett.

An meinem letzten freien Tag bevor ich in Kathmandu erwartet werde, will ich noch einmal einen schönen Sonnenaufgang mit den Bergen sehen, doch langsam fange ich an, dran zu zweifeln, dass hier wirklich welche sind, denn auch wenn der Himmel wieder strahlend blau ist, sind am Horizont doch keine Berge zu sehen, obwohl ich definitiv in die richtige Richtung schaue.

Nach einem schnellen Frühstück laufe ich los in Richtung der größten Hallenhöhle Nepals. Ich laufe steil über kleine Steinstufen nach unten, quer durch den Wald und an seltsam quiekenden Affen vorbei. Teilweise muss ich unter Spinnennetzen durchlaufen, in denen handtellergroße Spinnen thronen. Oje, ich hoffe, die Höhe ist den Aufwand wert! Unterwegs treffe ich ein französisches Pärchen und wir gehen gemeinsam weiter. Nach einer knappen Stunde erreichen wir die Höhle, die man nur in einer Gruppe von mindestens drei Personen und nur mit Guide betreten darf. Passt doch! Wir lassen unsere Taschen am Eingang und gehen nur mit Taschenlampe und Kamera bewaffnet in die Höhle. Ich bin echt überrascht, denn das ist Höhlenerlebnis pur: nix mit blinkenden Lämpchen, Tempelchen im Inneren oder lärmenden Schulklassen hier. Ohne unsere Stirnlampen wäre es stockfinster und mehr als einmal müssen wir steil nach oben auf allen Vieren klettern. Und genauso auch wieder hinunter. Die Stille ist fast unheimlich und man hat fast das Gefühl, die Fledermäuse fliegen zu hören.

Der Einfachheit halber laufen wir den Berg nicht wieder hoch, sondern die restlichen 15 Minuten bergab zum Highway. Dort nehmen wir auf dem Dach eines überfüllten Busses Platz und steigen dann in einen Jeep um, der uns wieder nach Bandipur bringt.